WOLF SPEMANN
BILDHAUER, DR. PHIL.
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Wiesbaden, Januar 2008

Ansprache zur Eröffnung der Ausstellung HANS SCHMIDT
im Klingspor-Museum Offenbach am Donnerstag den 6. März 2008

Anrede
Lassen Sie mich zu Anfang die wichtigsten Daten im Leben von Hans Schmidt
nennen. Er hat 20 Jahre in Offenbach gelehrt und ist vielen von Ihnen bekannt,
darum kann ich diesen Rahmen sehr eingrenzen.
Er ist vor 85 Jahren in Leipzig geboren. Dort hat er eine Lehre als Kartolithograph
absolviert, wurde 1942 eingezogen und 1944 fast automatisch als Kartograph
eingesetzt. Er arbeitete in einem Kartenwagen Seite an Seite mit dem Bruder meines
Vaters RUDO SPEMANN. Sie feierten gemeinsam Rudos 40. Geburtstag. Hans
Schmidt war gerade halb so alt.
Sein Interesse hatte sich von der rein handwerklichen Arbeit als Kartograph bereits
der Schrift zugewandt, Vorbild war Rudolf Koch. Durch Rudo Spemann erfuhr
Schmidt dann einiges über Schneidler, Tiemann und andere, sein Blick weitete sich.
Wenn Leerlauf im Dienst war, schrieb Rudo seine eigenen Blätter. Ich zitiere aus
Schmidts Erinnerung „…er nutze auch die geringste fünfminütige Pause bis zum
Antreten, um seine Blätter weiterzubringen. Dieses besessene Arbeiten hat mich
sehr beeindruckt und angeregt. Und nebenbei gab er mir Schriftunterricht.“ ( 1 )
Damals vor 64 Jahren, haben die Kriegswirren zwei Menschen zusammengewürfelt,
dem einen zum wegweisenden Nutzen und dem anderen – dessen bin ich sicher –
zu einem stillen Glücksgefühl darüber, selbst unter dermaßen chaotischen
Umständen von dem besten, was er konnte, etwas weitergeben zu dürfen.
Das Ende des Krieges trennte die beiden. Hans Schmidt kam in
Gefangenschaft. Durch Verwundung und Krankheit wurde er bald entlassen, kehrte
nach Leipzig zurück und arbeitete als Kartograph, bis er 1947 ein Studium an der
Leipziger Akademie für Buchgewerbe und Graphik aufnehmen konnte. Schon nach 4
Jahren wechselte er vom Studium in den Beruf und ging als Typograf an die
Eggebrecht-Presse nach Mainz. 1956 fand eine erste und 1961 eine zweite
Ausstellung im Klingspor-Museum statt. Es erschien ein Katalog mit einem
begleitenden Text von Dr. Hans-Adolf Halbey, im Auftrag der Vereinigung der
„Freunde des Klingspor-Museums“
Es ist das gemeinsame Schicksal aller Hochschullehrer, die sich für ihre
Studenten verantwortungsvoll engagieren, dass sie bis zur Pensionierung nur mit
einem Bruchteil ihrer Kraft zur eigenen Arbeit kommen. 1983, als Hans Schmidt
pensioniert wurde, gab die Hochschule eine Zeitung heraus, die Nr. 9 des „hfg
forum“.
Darin hat Schmidt auf 10 großformatigen Seiten unter dem Titel „Schriftunterricht“
das Fazit aus 20 Jahren Lehre gezogen. Es war stets sein Ziel die Autorität der
Vorlage abzubauen – und den Mut zur eigenen Formphantasie anzuregen ( 2 )
In der Lehre hat Hans Schmidt die dreidimensionale Schrift nicht behandelt.
Im Jahr seiner Pensionierung schrieb die Vereinigung der
Freunde des Klingspor-Museums einen Wettbewerb zum Thema „Dreidimensionale
Schrift“ aus. So wurde der Abschied von Hans Schmidt zugleich ein Hinweis auf
seine zukünftige Tätigkeit. Hans Schmidt war es vergönnt, danach eine neue und bis
heute anhaltende Phase seiner Arbeit zu beginnen. Er zog nach Badenhard im
Hunsrück, weit ab von allem Trubel der Zeit und nun entstanden Zug um Zug immer
häufiger dreidimensionale Schriften, die in den letzten Jahren sein Werk dominieren.
Der Übergang von der Fläche zur Dreidimensionalität entstand nicht durch Falten,
was denkbar gewesen wäre, sondern durch Schneiden. Man kann das sehr gut
anhand der Kataloge verfolgen, die 1988, 92, 98, 2001 und 2004 herausgekommen
sind.
Heute erscheint der fünfte Katalog seit Schmidt nach Badenhard gezogen ist; ein
Zeichen dafür, mit welcher Besessenheit er arbeitet. In der menschlichen Begegnung
wirkt Hans Schmid ruhig, fast still, schweigsam. Aber in ihm muss es ständig brodeln,
wie die Solfatara bei Neapel, die nie Ruhe findet. Er experimentiert mit allem was ihm
in die Hände kommt. In der Hinsicht kennt er kein Tabu. Diese Freiheit hat im Alter
noch zugenommen. Fast alles stellt er selbst her, aus Metall, Holz, Seilen,
Kunststoffen und sogar Keramik, d.h. er hat einen eigenen Brennofen. Und doch
werden diese Techniken nie Selbstzweck, sondern dienen dem jeweiligen Sinn des
Textes, bei dem Hans Schmidt Form und Inhalt in Einklang bringen will. Der Inhalt ist
der Anstoß, aber er gibt die Form nicht vor.
Die Ausstellung, die wir heute eröffnen, ist keine Retrospektive. Sie zeigt Arbeiten,
die vorwiegend in den letzten 20 Jahren, d. h. nach seiner letzten Ausstellung im
Klingspor-Museum 1988 entstanden sind.
Ein Bindeglied finden Sie in der ersten Vitrine. Dort ist eine Kubus aus Karton
ausgestellt: Die Worte ADAM und EVA, aus dem Jahren 1991 und 1993.
Ich konzentriere mich jetzt weitgehend auf die dreidimensionalen Schriften,
wohl wissend, dass parallel dazu immer wieder gezeichnete und gedruckte Blätter
und Bücher entstanden sind. Aber die Zeit verbietet mir, auf alles im Einzelnen
einzugehen.
Dreidimensionale Schriften hat es seit vorgeschichtlicher Zeit gegeben.
Von eingekerbten Hölzern bis zu Buchstaben, die in Holz oder Stein gehauen
wurden, sind uns Texte in großer Zahl überliefert. Das alles war Hans Schmidt
natürlich geläufig. Aber er geht nicht zurück zu den Quellen, sondern setzt mitten im
20. Jahrhundert ein, indem er die Frage stellt “Wenn ein „O“ eine Kreisfläche sein
kann, warum sollte es nicht eine Halbkugel sein, und warum sollten die anderen
Schriftzeichen nicht auch plastische Formen haben können? Dieser Gedanke war
der Anstoß“
Schon 1965, also zwei Jahre nach Beginn seiner
Lehrtätigkeit, entstand ein erstes Schriftrelief, 72 x 48 cm groß, Holz, weiß
gestrichen, so dass das Material unwichtig wurde, aber die Schattenwirkungen voll
zu Geltung kommen konnten. Schmidt bleibt „…immer auf der Basis der über viele
Jahrhunderte hin festgelegten Grundformen“ ( 4 )
Aber im krassen Gegensatz zu den unzähligen Schriftplatten, die über die
Jahrhunderte entstanden sind, beschränkt sich Schmidt selten auf eine erste und
eine zweite Ebene. Seine Buchstaben ragen als Halbkugeln, Viertelkugeln,
Pyramiden und schräge Ebenen in den Raum hinein. Es kommt zu einer
Geometrisierung der Schrift, die zu Rückwirkungen auf seine geschriebenen und
gezeichneten Schriften führt. Parallelen sieht er bei Erwin Heerich ( Düsseldorf ),
Karl Gerstner ( Basel ), Helmut Schmidt-Rhen ( Hamburg ) und Klaus Staudt, seinem
Kollegen an der Hochschule. Das ist aber nur die halbe Wahrheit, denn man muss
im gleichen Atemzug sagen, dass die eben genannten Vertreter der absoluten,
kalten, systematischen Kunst, wie sie genannt wird, den Formen, den Kuben,
Pyramiden, Kugeln, Scheiben und dergleichen, abverlangen, dass sie
konkret für sich alleine stehen und aussagekräftig genug sein sollen, während
Schmidt mit der Schrift immer zugleich einen Text vermitteln will.
Es gibt noch eine zweite Parallele zur Bildhauerei der Moderne. Alexander
Archipenko hat 1915 eine menschliche Gestalt geschaffen, bei der er den
Aussagewert von positiver und negativer Form gleichgesetzt hat. Kurz erläutert, er
hat eine Frau dargestellt, die ihr Haar kämmt. Den Raum zwischen dem rechten,
hoch gereckten Arm und dem links herunter fallenden Haar hat er als Durchbruch
modelliert. Genau genommen ist die Positivform des Kopfes durch die Negativform
eines Durchbruchs ersetzt.
Auf die ethische Konsequenz bei Archipenko will ich nicht eingehen, denn sie berührt
Hans Schmidt nicht. Aber letzterer hat in seinen kühnen Schriftentwürfen – ebenso
wie Archipenko – gestalterisch die positiven Formen und die negativen Formen
gleichrangig behandelt.
Mit seinen Schriftstelen schlägt Schmidt eine dritte Brücke zur modernen Kunst.
Indem man um die Stelen herumgehen muss oder die Stele drehen, um den Text
lesen zu können, ändert sich der Anblick und es kann zu optischen Verschiebungen
kommen, die an die Op-art erinnern.
Die Lesbarkeit seiner Schriften ist ihm wichtig. Als ich ihn vor einem Vierteljahr im
Vorfeld dieser Ausstellung in Badenhard besuchte, gingen wir durch sein Atelier. Er
bemerkte, dass ich bei dem einen oder anderen Text rätselte, und dann sagte er
nach wenigen Sekunden: „ich helfe ihnen“. Daraus entnehme ich, dass ihm nicht
daran liegt, den anderen in ein undurchdringliches Dickicht zu schicken.
Die Texte sollen gelesen werden können, aber – so Schmidt – „man kann den
Lesern etwas zumuten.“ Beim Zeitunglesen soll die Schrift in den Hintergrund treten.
Auch bei einem Buch steht der Text im Vordergrund. Hans Schmidt sucht sich aber
Texte, die hoch komprimiert sind, verdichtet, und in wenigen Worten beim Leser
Gedankenketten auslösen können. Es handelt sich durchweg um Texte von
Dichtern, Philosophen oder aus der Bibel, die ihn beschäftigen und die er zum
Zeitpunkt seiner Arbeit für wesentlich hält.
Ein Beispiel: Vor acht Jahren modellierte Schmidt einen Vierzeiler von Goethe mit
dem Text „Prüfungen erwarte bis zuletzt.“ Die Schrift ist in einer Ebene gehalten.
Kein Material wurde weggenommen, nur die Tonerde geschnitten, gestaucht oder
gebogen. Man braucht etwas Zeit, um die Zeilen lesen zu können. Um so
eindringlicher wirkt die Einheit von Form, Text und Gehalt auf uns. Erde, aus der wir
sind, und zu der wir werden, ist in einfacher, elementarer Weise verformt und
gebrannt. Das ist alles. So existentiell wie Goethes Worte: geradezu lapidar.
Hans Schmidt liest viel, ist an der gesamten Kultur
interessiert und fühlt sich ihr verpflichtet. Seine Texte auswählen und dann in eine
zeitgemäße Form bringen, das ist für ihn „…eine Sache der Verantwortung vor dem
Leben, vor Gott, vor der Entwicklung der Kultur und vor den Mitmenschen“. ( 5 ) Die
kirchlichen Institutionen interessieren ihn wenig. Aber ein Mensch, der in seinen
Arbeiten so in die Tiefe geht, der kann gar nicht anders, als sich des Einflusses der
1.500 Jahre christlicher Kultur, in der wir leben, bewusst zu sein.
Von Hans Schmidt stammt der Satz: „ Die Schrift muss sich weiterentwickeln. Wir
müssen die Schrift für unser Jahrhundert finden“. ( 6 ) Damit formuliert er das gleiche
Ziel, welches im übertragenen Sinn für alle bildenden Künste gilt. Die Künstler haben
kulturell die Aufgabe, sich durch ihre Arbeit im Nebel der Zukunft voranzutasten und
die Form – und Farbsprache der jeweiligen Gegenwart zu erschaffen. So jedenfalls
war es über viele Jahrhunderte.
Vorhin habe ich bereits angedeutet, dass sich die heutige Bildende Kunst nicht klar
erkennen und umreißen lässt. Sie ist – wie jede Kunst – ein Spiegelbild unserer
Gesellschaft. Die befindet sich in einer Phase der Auflösung. Adrienne Goehler, die
12 Jahre lang als Präsidentin der Hamburger Hochschule für bildende Künste
sowohl die Kunstszene als auch die nachwachsenden Kräfte an der Hochschule
beobachtet hat, schrieb das Buch „Verflüssigungen“ ( 7 ) Sie analysiert und
beschreibt die heutige Situation. Alle Stabilität verflüssigt sich: allgemeingültige
Werte, religiöse Bindungen, eine große Zahl der Ehen, künstlerische Wertmaßstäbe
und vieles mehr ist ins Wanken geraten. Darin liegt die Chance, dass Neues
wachsen kann, aber auch eine Gefahr, wenn wir jeglichen Boden unter den Füssen
verlieren.
Hans Schmidt gehört zu den Wenigen, die einerseits ständig bereit sind, an einer
Weiterentwicklung des Bestehenden zu arbeiten. Gleichzeitig setzt er in seiner
Textauswahl und deren bildhafte Umsetzung in Schrift feste Trittsteine, auf denen
man das für uns Menschen notwendige Mindestmaß an Boden unter den Füssen
spürt. Dafür danken wir ihm. Die Ausstellung ist eröffnet.

Anmerkungen
1 Schmidt, Hans, in „Gottes Will hat kein Warumb“, Offenbach 1995, S.6 // 2 vgl. S. 7 // 3 Katalog 1988 S. 29
4 Halbey, Hans-Adolf, in Katalog 1988, S.7 // 5 und 6 : Hans Schmidt im Gespräch am 29. 10. 07 in
Badenhard, Gesprächsnotiz W. Spemann // 7 Adrienne Goehler: Verflüssigungen, Ffm/ New York 2006,
Campus