Dies ist eine ungewöhnliche Ausstellung. Ein Typograph, der sein Leben lang mit Schrift umgeht, legt sich Rechenschaft ab, indem er auf die letzten fünfundzwanzig Jahre seiner Arbeit zurückblickt. So entstand dieser Katalog, die Bilanz eines Typographen, der mit Schrift experimentiert, mit Buchstaben zwischen kFlächen und Linien spielt, der Lettern zeichnet, formt, verschlüsselt, verfremdet, verheimlicht, der Wörter als Stempel schneidet und Sätze in Teppiche webt, der Schrift zu Stelen türmt und zu Reliefs gestaltet, der kubische Formen schafft im Reiz von Licht und Schatten, kinetische Objekte baut, von Schriftarchitektur träumt und nicht zuletzt Bücher macht, konventionelle Bücher, durch verschlungene Initialen markiert und ungewöhnliche Bücher, die mit Buchstaben und Sätzen wiederum experimentieren.

Hans Schmidt, Graphiker, Schriftgestalter, Typograph in Offenbach, in der reichen Tradition der Schriftkunstbewegung, ein Außenseiter und zugleich ein Zugehöriger, geht seinen eigenen versponnenen Weg, indem er mit seinen Schriftzeichen wie mit seinen Materialien neue Möglichkeiten der Formung ausprobiert. So gelingen ihm immer wieder überraschende Gestaltungen. Alles ist bei ihm in Bewegung, alles ist Veränderung, alles ist Leben.

“Das Problem entsteht durch die Betrachtung”, lautet der Text auf einer seiner Schriftstelen. Der Satz entschlüsselt die Art und Weise, mit der Hans Schmidt mit Schrift umgeht. Indem der Betrachter die verformten, in geometrische Figuren verwandelten Buchstaben enträtselt und den Satz entziffert, erkennt er den Sinn dieser Plastik: sie fordert den Betrachter auf, in der Welt die Probleme zu sehen.

Die Texte sind es, die die Schriftformen, die unser Typograph gestaltet, zu etwas Hintergründigem machen. Tod und Leben werden so wie Beschwörungen in Holz geritzt oder auf Papier gezeichnet, auf Gewebe wiedergegeben oder in Metall gefasst. Immer wieder wird Descartes Erkenntnis in verschiedenen Materialien gestaltet: “Ich bin” oder das “Innehalten” als Aufforderung niedergeschrieben.

Diese Gestaltungen faszinieren den Betrachter, der ihre verfremdeten Buchstabenfolgen wie Hyroglyphen entschlüsseln muss und um so klarer den Sinn erfasst. “Kargheit Klarheit” liest man auf einem Blatt. Diese beiden Begriffe zusammengefasst, sind ein Bekenntnis des Typographen Hans Schmidt. Durch die Sparsamkeit der Mittel wird Schriftgestaltung zu einem beherzigenswertem Programm.

Dieses kennenzulernen, ist dere Sinn der Ausstellung, der Bücher und Zeichnungen, der Stelen und Reliefs von Hans Schmidt, dem Typographen, der es versteht, Schrift zu verschlüsseln, um das Geheimnis des Wortes zu vermitteln.

Wir danken dem Künstler für sein Werk wie für die von ihm gestaltete Ausstellung und den von ihm ztusammengestellten Katalog. Wir freuen uns, dass diese Ausstellung in der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel ihren Anfang nimmt und hoffen, dass sie im In- und Ausland viel Anklang findet.

Paul Raabe, 1988
Direktor dere Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel