Ausstellung im Klingspor Museum Offenbach

9. März bis 13. April 2008

VOM LINEAREN ZUM VOLUMINÖSEN

SCHRIFT, GESCHRIEBEN VON HANS SCHMIDT

Doch Euch des Schreibens ja befleißt,
Als diktiert’ Euch der Heilig’ Geist!
(Goethe, Faust)

FORM…
Ruhig, bestimmt, gemessen – die Ausstrahlung, die von dem nun 85jährigen Künstler Hans Schmidt ausgeht, lässt tief verwurzelte Souveränität erkennen. Wer mit diesem Eindruck auf seine Wort- Kompositionen schaut, zumal die skulpturalen, versteht umso deutlicher deren klar gegliederten Aufbau, ihre sichere Konzeption, ihre Festigkeit. Manche sind gar nicht besonders groß, andere ragen beachtlich, übermannshoch auf,– monumental sind sie alle, wenn damit nicht das Äußere, sondern jene innere Monumentalität gemeint ist, die viel entscheidender für die überzeugende, substantielle Wirkkraft des Werks ist.

Weitere Betrachtungen der Person fördern Facetten zu Tage: hier und da ein kaum merkliches Anhalten im ansonsten wohl gesetzten, beherrscht artikulierten Redefluss; ein Zögern im Mienenspiel, und dann ein feinsinniges Lächeln um den Mund. Da entdeckt sich der Spielraum für Toleranz, für die Bereitschaft zur Abweichung vom Festgelegten, für Öffnung gegenüber dem so nicht Erwarteten. Es ist diese Feingliedrigkeit, Feinlinigkeit, die bei aller Gefügtheit seiner Kompositionein den Grundton wie ein selbstbewusst vorwärtsdrängendes Krakelee einbricht. Immer wieder faszinieren diese Liniengespinste, gleich ob streng geometrisch konstruiert oder als unruhig ausfingerndes Mündungsdelta vernetzt. Es zeugt von der Erfahrung und Vorstellungskraft Schmidts, wie er dabei den Buchstaben Figur gibt, sie genau so in der Schwebe hält, dass sie als Hinführung zum Lesen, aber nicht als Lesezeichen unmittelbar funktionieren. Lesen, von lateinisch: legere, Auflesen – Merkmal der Aneignung, die Zeit braucht und dadurch zum Verständnis erweiternden Mitvollzug der Schreibbewegung wird.

Stabilität, Statuarik einerseits – Fragilität und Grazie andererseits. Im Gegensatz kommt der Spannungsreichtum im Oeuvre von Hans Schmidt zur Sprache. Schmidt ist ein Künstler des Schriftlichen, des festgelegten Zeichens wie des selbstbestimmten Zeichnens. Dabei hat er über Jahrzehnte hinweg eine nur ihm eigene Dialektik im Erkunden der Schrifterscheinungen betrieben, die zwischen dem Volumen des Körpers und der feinst gestrichenen oder gezogenen, ausgesparten oder eingetieften Linie korrespondiert: Wechselgespräch zwischen den Polen – und das lässtden Suchenden nicht müde werden, immer neues Formenrepertoire zu erforschen.

Auf Papier gezeichnet, gedruckt, in Holz geschnitzt, in Metall geschnitten, in teigige Tonmasse eingedrückt – Hans Schmidt erweist sich als unerschöpflicher Meister der Materialien. Allem gewinnt er, genau kalkulierend oder intuitiv, jenes Spezifikum ab, das im Moment der jeweiligen Schaffensweise als Mittel zur Form taugt. Weichheit und Wärme, Glätte und Kühle, Helligkeit und Dunkel, hoch aufstrebend zur stabartigen Säule, breit gelagert als tabula ansata – Stofflichkeit in der ausgesuchten Beziehung zur Form macht sich Hans Schmidt fast nach Belieben zunutze, ohne je die eigene Stilistik zu verlieren. Stets ist er mit dem Kern seiner selbst zugegen, bedient sich dabei – als wäre es seine Signatur – ungeachtet aller materialen Vielfalt nur einer einzigen Konstante: der Versalie. Die Gemeinen bleiben ausgeklammert. Immer im Großgeschriebenen verbleibend, steigert sich nur umso markanter die Variabilität im Kontext von Form und ihrer stofflichen Ausführung. Gleich in welcher Dimension – gleichrangig rangiert die bis an die Grenze der Erstarrtheit versachlichte Form neben der geradezu oszillographisch das Temperament des Protagonisten abtastenden Linie; Linie, die im Auf- und Niederfahren Lesart evoziert, die als Haarriss durch Fläche oder Kubus fährt. Schriftlinie als Verlaufslinie, als Lebenslinie, mit den verblüffendsten Ausschlägen, Winkelungen, Steigungen und Abläufen – alles kündet unverstellt und eindeutig von dem am Schriftkanon entlang spürenden Hans Schmidt.

In Leipzig erlebte Hans Schmidt das akademisch geschulte Regelwerk der Schrifteleganz Walter Tiemanns. Außerdem lernte er die unstillbare Schreiberhand Rudo Spemanns kennen. Doppelt so alt, war Spemann ihm, dem jungen Soldaten, nicht lange aber intensiv vertraut und Vorbild im Sich-Verzehren-Können für die Anziehungskraft kunstvollen Aufnotierens. Demgegenüber hatte Hans Schmidt aber auch Rudolf Koch im Gepäck, dessen Alphabetbuch er als Quelle benennt. Und gerade Kochs Hingabe an den unbedingten Willen zu Formen der eigenen Individualität, an immer wieder überraschend eigenständige, ja widerständige Schriftbilder und -schnitte, sollte auf Hans Schmidt einen bleibenden Eindruck machen. Schmidt formulierte es während seiner Zeit als Dozent an der Offenbacher Hochschule für Gestaltung einmal so: „In der Herausarbeitung des Persönlichen, nicht in der Züchtung des Perfekten, sehe ich die Chance für den Schriftunterricht und das Schreiben.“ Schreiben des Eigenen als das eigentliche Schreiben – das liest sich als Prämisse aus all seiner Arbeit heraus. „Eigensinn macht Spass“ hatte Hermann Hesse formuliert.

Das Glück wollte es, im Zuge der Arbeit bei der Eggebrecht Presse in Mainz einem jungen, ganz anderen Charakter zu begegnen – Helmut Schmidt Rhen. An der systematisch seriellen Arbeitsweise des in
Kassel bei Hans Hillmann ausgebildeten Grafikers und Malers bemerkt Hans Schmidt die Fähigkeit zur konstruktiven Umgangsweise mit dem Buchstaben und seiner Verfügung zu Wort, Zeile und Textblock. Prämissen, die in den 60er Jahren, im Nachleben zu Bauhaus und Schweizer Sachlichkeit Vorrang haben. Und einen zweiten Gestalter und Künstler, Klaus Staudt – auch er Dozent an der Hochschule für Gestaltung –, nennt Schmidt als ihm in dieser Hinsicht bemerkenswerten Gegenüber. Es zeugt von der hellwachen Aufnahmebereitschaft Hans Schmidts, diese verschiedenen Quellen und Anregungen aus unterschiedlichen Zeitphasen nicht gegeneinander auszuspielen, sondern einzubinden in eine Sprache der Textur, die aus heterogenen Komponenten Einheit herzustellen weiß.
Bis in die Gegenwart atmen seine Arbeiten diesen Habitus von Geschlossenheit und Tektonik einerseits und Fragilität andererseits. Eins greift ins andere, vergleichbar mit einer fiktiven Verschmelzung von Figuren Eduardo Chillidas und Alberto Giacomettis. Hans Schmidt hält in seinen Arbeiten mit seiner Zeit Schritt und bleibt doch der Vergangenheit verbunden. Er knüpft bei Rudolf Koch an, und kann sich gleichwohl seinen eigenen Weg in die Geschichte der elementaren Schweizer Typografie bahnen. Für den Reliefbildner wie für den Zeichner gilt: Schrift erfährt im
Werkprozess von Hans Schmidt jedenfalls eine Metamorphose, hin zu einer Erscheinungsform, die den Kalligrafen sowenig entspricht wie den Typografen, sondern sich als Abzweig mit eigenen Trieben und Blüten sehenswert entwickelt hat.

Noch einmal Rudolf Koch zu erwähnen, ergibt sich aus einer für das Formale abschließenden Betrachtung des Wechselverhältnis’ von Schrift und Trägerform. Denn es war Koch, der bei aller Meisterschaft der Handschrift und der Typografie für das Buch auch größerformatige Papierarbeiten von großem Reiz fand. Sein gewaltiges Bergpredigt-Kreuz, 1922 mit Tusche auf ein Rechteck von 93×68 cm geschrieben, belegt dies eindrucksvoll. Größer noch sind die Teppiche, die er zusammen mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Werkstattgemeinschaft schuf. Die gut 2.50 m hohen Gewebe, mit Versalien bestickt, halfen ihm, sein Bedürfnis nach großem Format der Schrift, zu lesen als Signal an den Wänden von Räumen, Kirchenräumen zumal, zu stillen. Auch Hans Schmidt ist der Gestaltung von Schriftzügen auf Teppichen nachgekommen; auch diese als Wandbilder zur Ansprache an den im Raum Stehenden, vom Raum eingestimmten Leser gedacht.
Ein Schriftteppich Schmidts von 1959 (gewebt von Gret Mohrhardt und Inge Richter) inszeniert die Aussage:
„Es gibt keine Grenzen der Dinge“
(Christian Morgenstern, Stufen, 1918).

…UND INHALT
Mit Rudolf Koch und Rudo Spemann teilt Hans Schmidt im Grunde dasselbe christlich geprägte Weltbild. Inhalte, die er schriftlich ins Bild setzt, stammen nichtimmer aus religiösen Textquellen, doch auch jene, die profaner Natur sind, folgen einem roten Faden von Wertverständnis, das in der Vorstellung von Gott, Transzendenz und einer Lebensweise bestimmt ist, die sich gegen Widerstände von materieller und seelischer Not durchsetzt. Dazu gehört, Kargheit zu Freiheit zu sublimieren und Verantwortung für ein beharrliches Festhalten am Leben. Eine seiner jüngsten Arbeiten setzt dazu einen nochmaligen, höchst ausgefallenen Akzent. NACKT– Aus vier Quadern ist jeweils einer der Buchstaben (das c ist einem Henkel gleich an das K angefügt) herausgearbeitet. Die klare Rahmenkontur des
Würfels erhaltend, zeichnen sich im Inneren die Lettern, wie auf ihr Wesentliches skelettiert, ab; so, dass derKubus – wie entkernt – durchbrochen und diaphan erscheint – nackte Lettern, nackter Raum. Mehr als nüchternes Konstatieren, trotz der klinischen Präzision der Formen, deutet sich auch, unterstützt von der laut schreienden Farbe, ein Hiobsches klagend- mahnendes Aufzeigen von existenzieller Entledigung aller Äußerlichkeit an – bis auf das blank liegende Minimum körperlichseelischen Seins. WAHRHEIT und KLARHEIT– auch die früher entstandenen Stelen zielen auf Klärung von
Elementarem. Helle, fast reinweiße im Quadrat angelegte Scheiben sind zu den einzelnen Buchstaben anund eingeschnitten, gerade so weitgehend, dass aus erkundender Betrachtung allmählich ein Entziffern, dann Lesen werden kann. Vom Auge auf-, vom Empfinden an-, vom Verstand wahrgenommen – derart gestuft steuert der Schriftbildner seine Letternfolgen und ihre Bemerkung als Wort.
So erzeugt er dem einzelnen Wort die Aura seiner Begreifbarkeit, die Sinn und Sinnlichkeit konsolidiert.

Eine größere Wortversammlung bringen Sentenzenmit sich. Gleichwohl knapp gehalten, wollen sie umso markanter auf Allgemeines von Belang aufmerksammachen. Immer wieder begegnen wir Aussagen im Werk des Schriftkünstlers, die vom Wandel und der Vergänglichkeit der Dinge handeln. Wie antipodische Vorzeichen in steter Spannung, fassen zwei Plastiken auf dem Sitzplatz im Garten seines Hauses alles zusammen:

MEMENTO MORI liest sich die mehr als mannshohe Stele, aus streng stilisierten Letternquadraten errichtet. Dagegen weich, fast schmiegsam erscheinen die im Rund auf einer Tischplatte liegenden, tief in Tonquader eingedrückten Buchstaben LEBEN. Das Wesen des Prozesses, der Entwicklung, von Starten, Zielen und Ankommen – immer scheint ein Suchen, ein Aus- und Absuchen auf. Hans Schmidt schafft sichtlich Homogenität zwischen Inhalt und Formgestehung, denn eben diese beschreibt er als Leitmotiv, als immerwährenden, neu anzugehenden Versuch.

Der Weg, auf dem er sich insofern schöpferisch bewegt, ist von der Überzeugung des Schöpferischen selbst, des Schöpfers selbst, getragen; und zwar so, als könnte selbst der Tod, nur die im Moment zugespitzteVoraussetzung für einen weiteren Versuch sein.

Stefan Soltek, Klingspor Museum Offenbach